2023

Concerto Finale, Regionale
Group show 
Kunsthaus Baselland
Nov 26 – Jan 8, 2024 
Basel

Text
Meryl Kureekal

Die Bildsprache von Giacomo Santiago Rogado ist frei von raumzeitlichen Koordinaten und erkennbaren Objekten. Seine Werke, meist installativ realisierte Gemälde, zeigen evokative Formen, die als Partikel, Flüssigkeiten, elementare Lebensformen oder Planeten, Sterne oder Galaxien erscheinen. Es entsteht ein Gefühl von Widersprüchlichkeit und Transparenz, von Durchdringung und Überschneidung, von Konsonanz und Resonanz.
«Das Überflüssige weglassen, um das Wesentliche zu finden» – das ist das poetische Credo, das Rogado uns vor Augen führt. Analog dazu tut Rogado beim Malen nichts anderes als «einfach nur malen». Es gibt keine Vorüberlegungen, kein Projekt und kein vorgefertigtes Wissen, die Praxis wird mit Ausgeglichenheit und Ausdauer als eine paradoxerweise blinde Übung des Malens ausgeführt. In seinem Werk
Room for Intuitionüberträgt er den Akt des Malens in Teilen auf dieMaterialien seiner Arbeiten. Es handelt sich um eigenständige Arbeiten, in denen sich seine selbst entwickelten Techniken vermischen und neuartige
Malereikombinationen generieren. Die mit Farbbädern in einem Zusammenspiel von Zufall und Komposition geschaffenen Werke beeindrucken durch ihre unmittelbare Wirkung. Die Baumwolltücher saugen in einem langsamen Trocknungsprozess die Farben auf, die der Künstler in Behälter hineintröpfelt. Die Tropfen blühen auf den Stoffen zu prächtigen bunten Formen aus. Das Arbeiten ist ein Dialog zwischen Impulsgeben, Beobachten, Entstehen und Reagieren.
Giacomo Santiago Rogado geht bei seinen Arbeiten äusserst einfühlsam mit Licht und Raum um. Dieses Interesse spiegelt sich nicht nur in seinen Gemälden, sondern auch in deren reflektierten Platzierung. Affektiv, mediativ, kontemplativ – so lässt sich das Betrachten mit dem Werk von Giacomo Rogado beschreiben, und es ist zugleich ein Erfassen des eigenen Seins im Raum.



2021

constant change
Solo show 
Kunsthalle   
21/8 – 3/9/21 
Luzern

Text
Michael Sutter

Mit einer Gegenbewegung zur vorherrschenden Architektur definiert die begehbare Installation ein komplett neues Raumgefühl, das sich je nach Blickwinkel stets zu verändern vermag. Giacomo Santiago Rogado (*1979 in Luzern) hat für die markanten Raumverhältnisse der Kunsthalle Luzern eine panoramaartige Malerei aus aneinandergereihten Leinwänden erstellt. Dabei steht die äussere Erscheinung in einer starken Wechselbeziehung zum Innern, das erst durch das Betreten des Ausstellungsraumes vollumfänglich ersichtlich wird.

In ihrer imposanten Dimension – 3m x 16m – zeigt die Installation eine farbintensive, abstrakte Malerei, die von Giacomo Santiago Rogado mit selbstentwickelten Techniken und experimentellen Malereiverfahren gefertigt wurde. Vom hellen Zentrum aus erstrecken sich symmetrisch nach links und rechts verschiedenste Farbverläufe, die sich überlagern und unterschiedliche Ebenen mit Tiefenwirkung erzeugen. Auf beide Seitenenden hin verdunkelt sich die Farbigkeit und endet in nachtschwarzen Bildbereichen. Wie ein orchestrierter Zufall wirken die wachsenden Farbeffekte, die aufgrund der Transparenz der Leinwände zwischen Sein und Schein changieren.


Die malerischen Arbeiten von Giacomo Santiago Rogado erschliessen sich nicht per se auf den ersten Blick, vielmehr bedarf es eine visuelle und kontemplative

Auseinandersetzung, damit die Werke ihre expressive Wirkung entfalten können. Generell regen seine Arbeiten den individuellen Sehprozess an und beeinflussen die räumliche Wahrnehmung der Betrachtenden.

Optische Illusionen erwirkt Giacomo Santiago Rogado mit den drei kleinformatigen Malereien aus der Serie «Coalescence», die sich als minimale Setzungen im Hauptraum gegenüber der monumentalen Installation behaupten. Von der Ferne wirken die drei Arbeiten mehr oder weniger einfarbig, wobei sich die geschwungenen Linien mit ihrem Zentrum erst bei näherem Betrachten erschliessen. Ein kontrollierter, meditativer Malereiprozess mit Acryl und Öl ergibt eine dynamisch-wellige Struktur in Kreisformat, deren Farbigkeit sich beim Vorbeigehen stetig verändert.

Im Kabinett der Kunsthalle Luzern zeigt Giacomo Santiago Rogado eine Auswahl gerahmter, kleinformatiger Papierarbeiten. In einer dichten, gleichmässigen Aneinanderreihung werden verschiedene Varianten seines Umgangs mit Farben, Formen und Strukturen sichtbar. Die Papierarbeiten fungieren wie ein Mind-Map, welches die Spannbreite seines technischen Schaffens aufzeigt und die Weiterentwicklung von Forschung und Formfindung dokumentiert. Es handelt sich um eigenständige Arbeiten, worin sich seine selbst entwickelten Techniken vermischen und neuartige Malerei-Kombinationen generieren.


Fotos: Kilian Bannwart




2017

Growing together through emotions over time
Solo show 
Galerie Mark Müller   
26/8/17 – 14/10/17
Zürich

Text
Gabriela Acha
“Colour is a means of exercising direct influence upon the soul. Colour is the keyboard. The eye is the hammer, while the soul is a piano of many strings. The artist is the hand through which the medium of different ke-ys causes the human soul to vibrate.” 
Wassily Kandinsky, ‘Concerning the Spiritual in Art’, 1912

In his essay ‘Concerning the Spiritual in Art’, Wassily Kandinsky analyses the relationship between colour and form and how their connection has the power to condition the human experience towards a painting. Imagining an encounter with something new, Kandinsky considers the experience to be rather superficial and surprising, like a child discovering its surroundings or when a finger touches an ice cube. Body and mind react upon the unknown experience as an immediate physical response towards a surprising input. Yet such an initial reaction remains superficial, “leaving no lasting impression in the human soul, which remains unaffected”. Then, as soon as the knowledge gets stored in the mind, the new turns into familiar, and the relationship with the “known” becomes one of indifference. Things seem unsurprising once we know them well, but if they become the focus of long-term attention, the relationship between the object and spectator might eventually make the soul vibrate and, ultimately, become spiritual.

As mentioned in the quote, colours and forms are the means through which the art of painting can reach the soul and make it vibrate. What Kandinsky calls the “forms of harmony”, they reflect in a corresponding vibration on the human soul by virtue of paying enough attention to them. Nowadays, however, in contrast to the time in which Kandinsky verbalised his thoughts, the spectator’s physical encounter with art is usually interrupted by other presences and the pervasive tendency to be connected with the rest of the world. Those constant interruptions distract from engaging more in depth with the present moment and the things surrounding us physically. The maximum our limited attention span can attempt to reach is the most
superficial level of experiencing a painting, like touching ice with a finger, an instant flash; in the words of Kandinsky, a purely “physical effect”. But in the modern day, how can one experience a work fully and escape the usual, pervasive distractions? How to amplify this physical effect, or deepen the quality of an encounter? In a world in which narratives are meant to tick all the boxes in seconds, how to achieve a long lasting soul vibration?

In Giacomo Santiago Rogado’s conception of «Growing together through emotions over time», the spectator is meant to penetrate the site-specific installation and engage with the work individually. The paintings comprising the show are also at the same time the structure to be penetrated and experienced. Form and colour are put in relation firstly in the paintings and secondly in the installation. All the conditions are meant to abstract the viewer from external distractions and help to trigger full engagement with the paintings; to create a space for nothing but experiencing the works. When looking at them longer and closer, Rogado’s paintings might transport the viewer to another destination, as they might remind us of images from galaxies and other outer-spatial phenomena. The sophisticated processes of their creation suggest delicacy and a certain slow paced phenomenological violence.

Form and colour are related and they influence one another. Furthermore, form contains what Kandinsky calls an “inner harmony”. Shapes such as triangles or circles entail their own inner harmony, which suggests certain feelings. In the case of Rogado, the splash-like forms could remind us of something foreign but known at the same time, which might help to wander and imagine something that is unseen at least in that very moment and space. An imagination used to filling gaps, to deduct how a colour and form that is absent would feel and look, is – as Merleau-Ponty claimed– a “spiritual imagination”.

The spiritual might therefore exist in other ways, besides in religious doctrines and esoteric practices. Its existence might rather be based on engagement, and close, deep, true observation. The forms in Rogado’s paintings invite us to experience and engage, whereas their colours might trigger the imagination and all together play some of the soul strings. If we could just imagine a spirituality like a humble and honest emotion that can be awakened through long and deep contemplation...



2014

Room for Intuition
Solo show 
Helmhaus   
26/9/14 – 16/11/14 
Zürich

Text
Simon Maurer

Jungfräuliche Malerei kann es heute nicht mehr geben. Und doch träufelt Giacomo Santiago Rogado die unverdünnte Farbe auf sieben Meter langen Leinwänden aus, wie wenn hier das erste Bild entstehen würde, was je gemalt wurde. Die unbefleckte Leinwand empfängt die Farbe unberührt. So spektakulär die farbgebende Initialgeste auf der Leinwand ihren Niederschlag findet, so langsam bewegen sich die gelösten Pigmente auf der Leinwand weiter, entwickeln ein Eigenleben, wachsen wie blühende Korallen – bis die Austrocknung ihren Weg zum Stillstand bringt. Rogados Werk entsteht zwischen Kontrolle und Zufall, zwischen Kunstfertigkeit und Natur. Der Künstler will es so: Er gibt einen Teil seiner autorschaftlichen Bildmacht ab an die Natur – und bilanziert ebenso nüchtern wie romantisch: «Ich bin ja selber auch Natur.»

Für die Ausstellung im Helmhaus ist eines der grösseren Bilder der Kunstgeschichte entstanden: Es misst knapp 60 Meter und umgibt einen Raum. Das heisst: Wer sich das Bild ansieht, steht selber im Bild, wird von ihm umfangen, wird Teil der Malerei. Einer Malerei überdies, die nicht nur ihre Betrachter vor ihr, sondern auch die Aussenwelt hinter ihr mit einbezieht, die durch die gewobene Leinwand hindurchscheint und somit Teil des Bildes wird, je nach Lichteinfall mal intensiver, mal weniger intensiv.

Rogados monumentale Metamalerei kehrt zurück zu den Anfängen der Malerei: Der Künstler leert sein Bildgedächtnis und kultiviert eine neue, staunende Ursprünglichkeit. Die letztlich dann doch seinen Vorstellungen entsprechen muss, damit sie Bestand hat. Sein Glaube an die Natur, an Magie, Alchemie und Mystik wahren ihm den Glauben an die Schönheit.